Die Geschichte der Tumeszenz-Liposuktion
Bei der Tumeszenz-Liposuktion werden große Mengen einer sehr verdünnten Lösung von Lokalanästhetika in das subkutane Fettgewebe injiziert. Die Tumeszenz-Liposuktion ist die einzige Methode, die es erlaubt, eine Liposuktion ausschließlich unter lokaler Betäubung durchzuführen. Sie ist außerdem die einzige Methode, die die sonst üblichen Risiken einer Liposuktion, die Notwendigkeit einer Vollnarkose und den Blutverlust bei der Operation buchstäblich eliminieren. Manche Chirurgen setzen eine modifizierte Form der Tumeszenz-Liposuktion ein, die aus einer Vollnarkose oder schwerer IV-Sedierung und Tumeszenz-Infiltration zur Vermeidung von Blutverlust besteht. Die Tumeszenz-Liposuktion wurde von Dr. med. Jeffrey Klein, Dermatologe in San Juan Capistrano, Kalifornien, erfunden.
Traditionelle Vermutungen
Traditionelle Vermutungen bewiesen sich als nicht zutreffend. In vielerlei Hinsicht ist der Effekt der Tumeszenz-Methode für Lokalanästhesie das Gegenteil von dem, was man mit dem einfachen „gesunden Menschenverstand“ vermutet und durch überliefertes chirurgisches Wissen angenommen hätte.
Man würde vermuten, dass durch das Verdünnen einer Lösung von Lokalanästhetika (die Likokain und Epinephrin enthält) die Anästhesie weniger effektiv wäre. Tatsächlich ist es aber so, dass durch das Verdünnen eine größere Menge an Lokalanästhetikum über einen größeren Bereich verteilt werden kann und dadurch größere Gebiete betäubt werden können.
Obwohl Mikrokanülen im Vergleich zu den größeren, traditionellen Kanülen weniger Fett pro Minute entfernen, erlauben Mikrokanülen das Entfernen einer insgesamt größeren Menge an Fett und produzieren ebenmäßigere Resultate.
Während einer Liposuktion unter Lokalanästhesie sind die Patienten wach, aber sie erfahren weniger Schmerz als Patienten, die eine Liposuktion unter Vollnarkose vornehmen lassen. Nach dem Erwachen aus der Vollnarkose benötigen die Patienten Narkotika zur Analgesie, während die Lokalanästhesie noch für Stunden nach der Operation anhält und der Patient nur noch Paracetamol (Tylenol) braucht.
Offizielle Lidokain-Dosierungsgrenzen des FDA
Die offiziellen Lidokain-Dosierungsgrenzen wurden 1948 vom FDA („Food and Drug Administration“, USA) festgelegt – in einer Zeit, in der die FDA keine objektiven Informationen forderte, bevor sie eine Dosierungsempfehlung einer Firma anerkannte. Die Lidokain-Dosis von 7 mg/kg wurde vom FDA ohne unterstützende wissenschaftliche Erkenntnisse anerkannt. Tatsächlich wurde die offizielle Dosierungsgrenze für Lidokain 1948 durch einen kurzen Brief vom Hersteller des Arzneimittels festgesetzt, mit der Erklärung, dass „die maximale sichere Dosis von Lidokain wahrscheinlich die gleiche ist wie für Procainamid“.
Keine FDA-Daten über Lidokain subkutan
Unter dem „Freedom of Information Act“ hat die FDA erklärt, dass sie keine weiteren Daten hat, die die aktuellen Empfehlungen unterstützen. Die FDA hat keine Daten bezüglich einer maximalen sicheren Dosis von Lidokain mit Epinephrin, wenn dieses unter die Haut injiziert wird. Die einzigen Daten, die der FDA zur Verfügung stehen, beziehen sich auf den Einsatz der Lokalanästhesie, die in tieferes Gewebe injiziert wird, wie um die Wirbelsäule herum. Tatsächlich zeigen Daten aus medizinischen Fachzeitschriften und jahrelange Erfahrung, dass die sichere Höchstgrenze für verdünntes tumeszentes Lidokain-Epinephrin bei ungefähr 45 mg/kg liegt.
Die Anwendung einer Vollnarkose mag unnötig sein
Der Einsatz einer Vollnarkose kann unnötigerweise erfolgen, wenn die Anästhesisten nicht wissen, dass die FDA-Grenzen für Lidokain ausschließlich für die Epiduralanästhesie (7 mg/kg) gesetzt wurden und die Grenzen für die Tumeszenz-Lokalanästhesie viel höher sind (45 mg/kg). Dadurch hat die Unterschätzung der maximalen sicheren Dosis für verdünntes Lidokain und Epinephrin beim Injizieren unter die Haut dazu ermutigt, eine Vollnarkose auch in Situationen einzusetzen, wo sie gar nicht nötig gewesen wäre.
Die Liposuktion vor der Tumeszenz-Methode
Für viele Jahre war eine Vollnarkose die absolute Voraussetzung für eine Liposuktion. Die Standardkanülen der 1980er-Jahre waren groß, mit Durchmessern von 6 bis 10 mm und Querschnittsflächen, die 9 bis 25 mal größer waren als die Mikrokanülen mit 2mm von heute. Die erste schriftliche Darstellung einer Liposuktion wurde 1977 von Fischer aus Italien veröffentlicht. Kurz danach machten die französischen Chirurgen Illouz und Fournier die Liposuktion mit stumpfen Kanülen bekannt. Die prä-operative Infiltration einer kleinen Menge vasokonstriktiver Lösung von Epinephrin in das zu entfernende Fett wurde die „Nasstechnik“ genannt. Wenn keine prä-operative Infiltration verwendet wurde, nannte man es die „Trockentechnik“. 1982 besuchten mehrere amerikanische Dermatologen, plastische und kosmetische Chirurgen Frankreich, um Illouz bei der Liposuktion zuzusehen. 1983 führten die Amerikaner Liposuktionen unter Vollnarkose durch oder unter Epiduralanästhesie, oder mit schwerer IV-Sedierung, die in kleinem Umfang mit einer Lokalanästhesie ergänzt wurde. In den 1980er-Jahren und den frühen 1990ern war die Liposuktion unter Chirurgen, die nicht die Tumeszenz-Methode anwandten, dafür bekannt, dass sie exzessive Blutungen verursachte, eine lange Genesungszeit erforderte und entstellende Unregelmäßigkeiten der Haut hinterließ.
Der Erfinder der Tumeszenz-Liposuktion
Die Tumeszenz-Liposuktion wurde von Dr. med. Jeffrey A. Klein erfunden, einem Dermatologen, der heute in San Juan Capistrano in Kalifornien praktiziert. Dr. Klein erhielt seine medizinische Ausbildung an der Universität von San Francisco. Nach dem Medizinstudium spezialisierte er sich und erhielt die Facharztanerkennung in Innerer Medizin von der Universität von Los Angeles und Dermatologie an der Universität von Irvine. Weitere Studien schloss er mit ein einen Magister in Biostatistik an der Universität von Berkley ab und er erhielt ein Forschungsstipendium an den „National Institutes of Health (NIH)“ für Klinische Pharmakologie. Dr. Klein gründete seine private Praxis für Dermatologie im November 1984.
Die Erfindung der Tumeszenz-Methode
Im Februar 1985 nahm Dr. Jeffrey Klein an einem Liposuktionskurs teil, an dem alle Fakultätsmitglieder die Liposuktion unter Einsatz einer Vollnarkose durchführten. Eine Fettabsaugung unter lokaler Betäubung galt als unmöglich. Für Dr. Klein aber schien es naheliegend, dass man zumindest in kleinem Umfang eine Fettabsaugung auch unter Lokalanästhesie durchführen könnte. Die eigentliche Frage war: „Wie viel Fett kann unter Lokalanästhesie abgesaugt werden?“ Er wollte herausfinden, wie viel Fett unter dem Einsatz von maximal 500 mg Lidokain und 0,5 mg Epinephrin entfernt werden konnte. Dr. Klein stellte fest, dass bei jeder weiteren Verdünnung von Lidokain und Epinephrin eine größere Menge an Lokalanästhetikum subkutan verwendet werden konnte. Es blieb dann nur noch herauszufinden, was die ideale Verdünnung sein würde und abzuschätzen, was die maximale sichere Dosierung von Lidokain ist.
Der erste Patient der Tumeszenz-Liposuktion
Am 5. April 1985 führte Dr. Klein seine erste Liposuktion durch. Die Patientin hatte am Unterbauch über einer quer verlaufenden Hysterektomienarbe eine eingegrenzte Ablagerung von Fett. Die Liposuktion wurde mit einem unverdünnten, kommerziell erhältlichen Konzentrat von Lokalanästhetika (500 mg Lidokain und 1 mg Epinephrin in 50 Millilitern) durchgeführt und es wurde nur eine kleine Menge Fett entfernt (weniger als 100 ml). Diese erste Patientin hatte keinerlei Schmerzen während der Fettabsaugung und auch keinerlei chirurgische Blutung, da das Epinephrin eine Gefäßverengung verursachte. Allerdings verursachte die Injektion einen stechenden Schmerz und der Herzschlag erhöhte sich stark (Tachykardie) als Resultat der Injektion der hohen Konzentration von Epinephrin (auch bekannt als Adrenalin).
Die frühen Tumeszenz-Patienten
Jeder Patient in der Folge erhielt eine Lösung von Lidokain und Epinephrin, die verdünnter war als die des vorhergehenden Patienten. Überraschenderweise stellte Dr. Klein keinen Unterschied im Grad der lokalen Betäubung fest, aber der stechende Schmerz bei der Injektion und die Tachykardie (Herzrasen) nach der Injektion ließen nach. Des Weiteren ergab jede weitere Verdünnung eine größere Menge an Lokalanästhetikum, wodurch immer größere Mengen an subkutanem Fettgewebe lokal betäubt werden konnten. Ende 1985 war so die Grundform der Tumeszenz-Liposuktion entstanden. Als optimale Konzentration der Tumeszenz-Liposuktion für Lokalanästhesie befand man eine Menge von 500 bis 1.250 mg Lidokain mit 0,5 bis 1,0 mg Epinephrin pro Liter Lösung.
Die erste Veröffentlichung über die Tumeszenz-Methode
Die erste öffentlich zugängliche Beschreibung der Tumeszenz-Methode war ein Vorlesung von Dr. Klein in Philadelphia im Juni 1986. Der erste Artikel, der die Tumeszenz-Methode beschreibt, wurde im Januar 1987 im „American Journal of Cosmetic Surgery“ veröffentlicht (Klein JA, „The tumescent technique for liposuction surgery.“, American Journal of Cosmetic Surgery, 1987, Band 4, Seiten 263-267).
Optimierte Anästhesie
Die kontinuierliche Verfeinerung und Verbesserung der Tumeszenz-Methode über die Jahre erlaubt es heutzutage, eine Liposuktion mit außerordentlicher Finesse und Sanftheit und ausschließlich unter Lokalanästhesie durchzuführen. Der ursprünglich auftretende, stechende Schmerz bei der Infiltration des Lokalanästhetikums (Ergebnis des pH-sauren Wertes von kommerziell erhältlichem Lidokain) wurde durch den Zusatz von Natriumbikarbonat (NaCO3) zur Anästhetika-Lösung eliminiert. Das Auftreten von Herzrasen durch das Epinephrin in der tumeszenten Anästhetika-Lösung wurde durch den Einsatz von Clonidin (0,1 mg), das unmittelbar vor der Operation oral eingenommen wird, fast vollständig eliminiert .
Maximale sichere Dosis von Tumeszenz-Lidokain
Nachdem die Umsetzbarkeit und Sicherheit bei der Anwendung von großen Mengen Lidokain-haltiger, tumeszenter Lokalanästhetika für die Liposuktion bewiesen war, war als letzter Schritt nötig, die maximale sichere Dosierung von Lidokain festzustellen. Eine Lidokain-Dosis gilt als exzessiv und möglicherweise toxisch, wenn die Konzentration von Lidokain im Blut 6 Milligramm pro Liter übersteigt. Durch das wiederholte Messen der Lidokain-Konzentration im Blut nach der Tumeszenz-Infiltration entdeckte Dr. Klein, dass der Höchststand der Lidokain-Konzentration im Blut nach ungefähr 12 Stunden nach Beginn der Tumeszenz-Infiltration erreicht ist. Dieser Befund war unerhört. Der vorher vorherrschende Kenntnisstand war, dass der Höhepunkt des Lidokain-Blutspiegels in weniger als 2 Stunden nach der Infiltration erreicht ist. Durch die graphische Darstellung der Höchstwerte der Konzentration und der entsprechenden Lidokain-Dosis (mg/kg) als Funktion zeigte sich, dass die sichere Dosis für Tumeszenz-Lidokain 35 mg/kg bis 50 mg/kg beträgt. (Klein JA, „Tumescent technique for regional anesthesia permits lidocaine doses of 35 mg/kg for liposuction.“, Journal of Dermatologic Surgery and Oncology, 16 : 248 -263, 1990).